Der fliegende Holländer | Deutsche Oper Berlin | Februar 2010

Ein lebenslängliches Todesurteil kettet den Holländer seit langer Zeit ans Meer.
Gegliedert wird diese unförmige Zeit durch Fristen: Alle sieben Jahre darf er das Land betreten, um eine Frau zu finden, die ewige Treue gelobt und hält. Das ist die Vorbedingung seiner Erlösung.
Beim abermaligen Versuch, Erlösung auf dem Festland zu finden, begegnet er dem Kapitän Daland, der durch Geld schnell von der Zahlungs- und Heiratsfähigkeit des unheimlichen Mannes überzeugt wird. Er hat eine Tochter, »ein treues Kind« – das Geschäft ist abgemacht.
Zu Hause sitzen währenddessen die Mädchen und spinnen.
Senta gilt als Braut des Jägers Erik. Im Gegensatz zu allen anderen, entzieht sie sich der Arbeit und starrt das Bildnis des Holländers an.
Dessen Geschichte ist allgemein bekannt. Als jedoch Senta die Ballade vom Holländer singt, stehen die Spinnräder still. Senta, im Innersten getroffen vom Bildnis dieses Mannes, sieht sich mit seiner Rettung beauftragt. Erik muss um seine sicher geglaubte Senta bangen.
Senta reißt ein hellsichtiges Gefühl von Schicksal, den Vater Daland die Aussicht auf Reichtum hin.
Senta gelobt dem Holländer Treue.
Als dieser sie jedoch im Gespräch mit Erik erblickt, glaubt er sich verraten.
Dem Geschick des Holländers geht die Hybris perfekter Technik voraus: »In Ewigkeit lass ich nicht ab.« So soll der Holländer geschworen haben, als er bei Sturm ein schwieriges Kap umschiffte.
Dieser Schwur, geboren aus Virtuosität, ist ihm zum Fluch geworden. Niemand ermordet ihn, kein Sturm lässt das Schiff sinken. Er segelt wie durch einen Eigenkosmos, in dem selbst Meer und Sturm so dressiert sind, dass noch ihre höchste Amplitude dem Holländer und seiner Mannschaft kein Haar krümmen kann.
Wo es an Tödlichem mangelt, grassiert die Entwertung: Die Idee des erlösenden Weibes droht in die Abstraktion zu entgleiten, Unmengen Goldes birgt das Schiff, Unmengen sinnleerer Zeit verbringt der Holländer auf dem Meer.
In diesem Bild wird das Alltagsleben an Land zur Klarheit gebracht: Das Räderwerk der Spinnräder, an denen die Bräute ihren Bräutigamen Aussteuer spinnen, entspricht der geölten Maschinerie des Meeres, das den Holländer brutal verschont: »Ach gutes Rädchen saus noch mehr.« Dieser reibungslosen Welt ist nur durch Aufopferung des eigenen Lebens zu entkommen. Sentas Ballade bereits ist ein Griff in die Spinnräder. Ihre Bereitschaft zum Selbst-Opfer: Eine wirkliche Unterbrechung? »Die Fabel von dem Fliegenden Holländer ist euch gewiß bekannt.
Es ist die Geschichte von dem verwünschten Schiffe, das nie in den Hafen gelangen kann und jetzt schon seit undenklicher Zeit auf dem Meere herumfährt. Begegnet es einem anderen Fahrzeuge, so kommen einige von der unheimlichen Mannschaft in einem Boote herangefahren und bitten, ein Paket Briefe gefälligst mitzunehmen.
Diese Briefe muß man an den Mastbaum festnageln, sonst widerfährt dem Schiffe ein Unglück, besonders wenn keine Bibel an Bord oder kein Hufeisen am Fockmaste befindlich ist. Die Briefe sind immer an Menschen adressiert, die man gar nicht kennt oder die längst verstorben, so daß zuweilen der späte Enkel einen Liebesbrief in Empfang nimmt, der an seine Urgroßmutter gerichtet ist, die schon seit hundert Jahr im Grabe liegt. Jenes hölzerne Gespenst, jenes grauenhafte Schiff führt seinen Namen von seinem Kapitän, einem Holländer, der einst bei allen Teufeln geschworen, dass er irgendein Vorgebirge, dessen Namen mir entfallen, trotz des heftigsten Sturms, der eben wehte, umschiffen wolle, und sollte er auch bis zum Jüngsten Tage segeln müssen.
Der Teufel hat ihn beim Wort gefaßt, er muß bis zum Jüngsten Tage auf dem Meere herumirren, es sei denn, daß er durch die Treue eines Weibes erlöst werde.
Der Teufel, dumm wie er ist, glaubt nicht an Weibertreue und erlaubte daher dem verwünschten Kapitän, alle sieben Jahr einmal ans Land zu steigen und zu heiraten und bei dieser Gelegenheit seine Erlösung zu betreiben. Armer Holländer! Er ist oft froh genug, von der Ehe selbst wieder erlöst und seine Erlöserin loszuwerden, und er begibt sich dann wieder an Bord.« Mit diesen Worten umreißt Heinrich Heine in seinem 1833 verfassten und Richard Wagner bekannten Erzählfragment Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski grob die Motivik der Seefahrerlegende vom Fliegenden Holländer.
Der Begriff des Fortschritts ist in der Idee der Katastrophe zu fundieren. Dass es »so weiter« geht, ist die Katastrophe. Sie ist nicht das jeweils Bevorstehende, sondern das jeweils Gegebene. Strindbergs Gedanke: die Hölle ist nichts, was uns bevorstünde – sondern dieses Leben hier. Die Rettung hält sich an den kleinen Sprung in der kontinuierlichen Katastrophe. [Walter Benjamin, Zentralpark]

Donnerstag 04.02.2010 19:30 Uhr : Deutsche Oper Berlin
Donnerstag 11.02.2010 19:30 Uhr : Deutsche Oper Berlin

 

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