von Christoph Mathiak, 1.3.2010
Am Abend zuvor hatte bereits die offizielle Abschiedsparty vom Prater stattgefunden. Die Bühne, von der Volksbühne bespielt, wird für eine umfassende Renovierung geschlossen.
LUCKY TRIMMER erweckte noch einmal den durch maroden Charme bestechenden Theaterraum. Die Tanzreihe, die damit zum 14. Mal stattfand, ist zu einer festen Größe im Terminplan des zeitgenössischen Tanzes geworden. So wunderte man sich nicht über das ausverkaufte Haus.
LUCKY TRIMMER, bisher im Tacheles zu Hause, präsentiert zweimal jährlich rund 8 Chorographien nationaler und internationaler Choreographen. Die Aufführungsdauer der Stücke ist auf 10 Minuten begrenzt – eine nicht ganz leichte Vorgabe, die viele Stücke von der Teilnahme ausschließt. Sie eröffnet dem Zuschauer die Möglichkeit, an einem Abend unterschiedlichste Entwicklungen im zeitgenössischen Tanz zu sehen. Den Stücken hat ihre Kürze ebenfalls nicht geschadet. Sie bestachen fast durchgehend durch ungewohnte Komplexität und Eindringlichkeit. Das dichte, zeitliche Nebeneinander der Choreographien ließ auch für ungeübte Zuschauer die Unterschiedlichkeit der Bewegungssprachen überdeutlich werden und damit den Facettenreichtum des zeitgenössischen Tanzes.
Getrennt wurden die Arbeiten durch die choreographische und in ihrer Absurdität durchaus komische Reihe „How I Killed Myself“ von Nathan Freyermuth und Séverin Lefévre aus Lyon, Frankreich. Nicht zuletzt dieses verbindende Element sorgte für Festivalcharakter, der sich in zum Teil überschwenglicher und gelöster Begeisterung des Publikums ausdrückte.
Auch das eine Besonderheit von LUCKY TRIMMER und in der sonst oft asketisch wirkenden Tanzszene erfrischend anders.
LUCKY TRIMMER gelang die Gratwanderung zwischen Festivalstimmung und intensivem Eintauchen in die künstlerischen Tiefen des Genres so bravourös, dass man sich über die konsequente Selbstzentrierung der anderen Tanzfestivals in Berlin nur wundern kann. Am Publikum scheitert die Öffnung gewiss nicht – das hat dieser Abend bewiesen.
Es waren gerade die tiefgründigsten Stücke, die vom Publikum besonders honoriert wurden. Abschluss und einen der Höhepunkte des Abends lieferte das mit begeistertem Applaus bedachte Werk „Bernadette“ von Caroline Finn aus Großbritannien. Den Einstieg bildete eine in ihrer Spießigkeit absurde und doch nicht irreal wirkende Radio-Kochshow für die Mittelstandshausfrau. Der darauf folgende Versuch, den perfekten Apfelkuchen zu backen gerät zum Fiasko. Immer wieder durchbricht Caroline Finn, die das Solo selbst tanzt, ihr aufgesetztes Hausfrauendasein durch zwanghafte Bewegungen, durch Ur-Rhythmen, die schließlich im Chaos enden. Es sind die Komplexität der Choreographie, die Exaktheit und das intelligente Timing, die „Bernadette“ zu einem choreographischen Juwel machen.
Caroline Finn gelingt es vom ersten Moment an, im Zuschauer eine Fülle von Emotionen, Assoziationen und Deutungen zu erzeugen. Dabei führt sie so geschickt, dass zu keinem Zeitpunkt eine Beliebigkeit der Interpretationsmöglichkeiten gegeben ist, ebenso wenig wie eine eindimensionale Verengung. Der Zuschauer erwacht und läuft keinen Moment Gefahr in Willkür zu ertrinken und konsequenterweise abzuschalten. Die tänzerischen Fähigkeiten von Caroline Finn, die unter anderem mit dem Ballett Preljocaj und dem Balletttheater München arbeitete, ermöglichen es ihr, das Publikum direkt zu greifen und danach nicht mehr loszulassen.
Die Möglichkeit, solche Ausnahmechoreographien zu sehen und die bewusste Hinwendung zum Zuschauer sind es, die LUCKY TRIMMER zu einem echten Glücksfall für das Berliner Publikum machen. Und für die zeitgenössische Tanzszene in Berlin.
Denn dieser Abend hat Lust gemacht. Lust auf mehr zeitgenössischen Tanz.
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