Für nur 72 Stunden, Tag und Nacht, präsentiert die Nationalgalerie Marcel Duchamps legendären Parfumflakon Belle Haleine aus dem Jahr 1921.
Ein Projekt anlässlich der “Langen Nacht der Museen”.
Marcel Duchamps legendärer Parfumflakon Belle Haleine aus dem Jahr 1921 ist das einzige erhalten gebliebene „assisted Readymade“ des einflussreichsten Künstlers des 20. Jahrhunderts.
Seine bis heute ungebrochene Bedeutung resultiert aus der konsequenten Weise, mit der sich Duchamp (geb. 1887 in Blainville-Crevon; gest. 1968 in Neuilly-sur-Seine) von der tradierten Vorstellung von Kunst abwendet und
sich mit den Mechanismen der Kunstproduktion und -rezeption auseinandersetzt.
So entwickelt er in den 1910er Jahren das Konzept des Readymade. Er nutzt industriell gefertigte Massenprodukte, die allein durch die Wahl des Künstlers zu einem Kunstwerk avancieren.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts haben sich seine Readymades – wie das umgedrehte Urinal oder die
Fahrradfelge auf einem Holzhocker – zu Ikonen der Kunst entwickelt.
Belle Haleine gilt innerhalb dieser Werkgruppe als „assisted Readymade“, da Duchamp es gestalterisch modifiziert. Er verwendet einen gläsernen
Parfumflakon der Pariser Firma Rigaud, tauscht das Etikett aus und signiert auf der handelsüblichen Verpackung mit seinem Pseudonym: Rrose Sélavy.
Visuelle und wortspielerische Travestien bestimmen das neue Etikett und stiften eine erotisierende Verrätselung, die zu zahlreichen Interpretationen führt.
Das ursprünglich in diesem Fläschchen verkaufte Parfum trug den Namen „Un air embaumé“ (Duftende Luft). Der Künstler macht daraus Belle Haleine (Schöner Atem) und verweist durch die Klangähnlichkeit mit ‚Belle Hélène‘ auf die gleichnamige Operette von Jacques Offenbach, die sich parodistisch mit der sagenhaften Figur der Helena beschäftigt: Die schönste Frau der Welt, deren Entführung durch Paris den Trojanischen Krieg auslöste, lenkt den Blick zurück auf das Porträt des Flakons.
Als Rrose Sélavy, deren Name im Französischen wie „Éros, c’est la vie“ klingt, lässt sich Duchamp von Man Ray in Frauenkleidern fotografieren und verwendet dieses Foto auf dem neu entworfenen Flaschenetikett. Auch das Wortspiel des Untertitels „Eau de Voilette“ (Schleierwasser) treibt die Assoziationsketten an, indem es klanglich auf „Eau de Toilette“ und „Eau de Violette“ (Toiletten- bzw. Veilchenwasser) anspielt.
Die Figur der Rrose Sélavy verbindet zwei für Duchamp zentrale Themen: die Autorschaft und die Erotik. Indem Rrose Sélavy als Alter Ego des Künstlers sogar Objekte signiert, wird der Akt der Definition zum eigentlichen Kunstwerk und unterstreicht Duchamps Interesse an den nicht-materiellen Anteilen von Kunst, am konzeptuellen Entwurf und an Fragen der Rezeption.
Die Readymades spitzen diese Überlegungen zu und obwohl sie bereits Mitte des 20. Jahrhunderts größtenteils nur noch auf fotografischen Atelieransichten existieren, haben sie einen enormen Einfluss auf die nachfolgende
Künstlergeneration: Sie treiben deren Nachdenken über Originalität und Autorschaft, über das Verhältnis von Konzept und Kunstwerk an. In den 1960er Jahren autorisiert Duchamp eine Wiederauflage einiger seiner Readymades als Edition.
Es sind im Wesentlichen diese Wiederholungen, die heute in den Sammlungen der Museen vertreten sind, während die
ursprünglichen Readymades als verschollen oder zerstört gelten. Belle Haleine hingegen ist ein Original und wurde bisher nur sehr selten ausgestellt.
Duchamp verschenkte das Fläschchen an Yvonne Crotti, mit der ihn 1918 eine Affäre verband. Es befand sich seitdem in Privatsammlungen und wurde 2009 aus dem Besitz von Yves Saint Laurent und Pierre Bergé zu dem überraschend hohen Preis von 7,9 Mio. Euro versteigert.
Zum ersten Mal seit dieser Versteigerung ist das Werk – ganz im Duchampschen Geiste – für die flüchtige Dauer von 72 Stunden in der Neuen Nationalgalerie zu sehen und wird dort entsprechend seines Mythos und seines Status als Kunstwerk in einer Vitrine präsentiert, die in Form und Größe derjenigen der Nofretete auf der Museumsinsel entspricht.
Nun enthält sie eine Ikone der Moderne.
Marcel Duchamp
Belle Haleine: Eau de Voilette, 1921
Eine Ausstellung der Nationalgalerie in der Neuen Nationalgalerie
von
Donnerstag, dem 27. Januar 2011, 24 Uhr
bis Sonntag, den 30. Januar 2011, 24 Uhr.
Die Neue Nationalgalerie ist durchgehend geöffnet,
auch während der Langen Nacht der Museen am Samstag, dem 29.1.2011.
Kulturforum Potsdamer Platz
Nationalgalerie
Neue Nationalgalerie, Obere Halle
Potsdamer Str. 50
10785 Berlin-Tiergarten
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