Premiere an der Deutschen Oper Berlin am 27. September 2009
Oper in drei Akten Libretto von Hugo von Hofmannsthal – Uraufführung am 10. Oktober 1919 in Wien –
Eine der farbigsten Partituren der gesamten Opernliteratur, eine der schillerndsten Handlungen für die Musiktheaterbühne – der Erste Weltkrieg im vollen Gange, das erste große systematische Menschenschlachten des 20. Jahrhunderts tobt. Ein Widerspruch?
In Charlottenburg, Garmisch und Rodaun entsteht während dieses Krieges ein märchenhaftes, symbolbefrachtetes und überbordend schwelgerisches Werk, das auf den ersten und oberflächlichen Blick wie Oper gewordener Eskapismus anmutet. Gingen die Autoren mit Scheuklappen durch die Welt oder ignorieren sie zynisch, was um sie herum geschah?
Wie sonst könnte es zu erklären sein, dass sie gemeinsam ein Märchen über die Gebärunfähigkeit einer Mensch gewordenen Tochter des Königs des Geisterreichs und der Gebärunwilligkeit einer Frau aus den unteren Schichten verfassen – ein Märchen mit der Moral, dass Kindersegen jede menschliche Verhärtung aufzuweichen vermöge?
Auf dem Hintergrund der Entstehungszeit mitten im großen Menschheitsgemetzel etwa der Schlachtfelder von Ypern oder Verdun könnte DIE FRAU OHNE SCHATTEN leicht sogar als Durchhalteoper missdeutet werden.
Allein: Richard Strauss war ein vergleichsweise offener Gegner dieses Krieges und stand damit in Opposition zu einem großen Teil hurraschreiender Künstlerkollegen, und Hugo von Hofmannsthal, als Vierzigjähriger einberufen, entzog sich dem Fronteinsatz, indem er kriegspropagandistische Texte in der Etappe verfasste, die dem Überleben dienten, jedoch nicht der Überzeugung folgten. Und so schaffen sie – bei weitem weniger verklausuliert als vielfach behauptet – in einer selten so glückhaften Übereinstimmung die wahrscheinlich ergreifendste Parabel über das Überleben der Menschheit aus dem Geiste des Glaubens an die Ideale des Humanismus. Fest verankert in der grausamen Wirklichkeit der gepanzerten Zeit reflektieren sie die Utopie eines geläuterten Menschentums. Eine Deutung aus dem Verständnis der politischhistorischen Konnotationen.
Ist nun DIE FRAU OHNE SCHATTEN von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss ein kulinarisches Theater, das nichts zu bieten hätte als merkwürdige Geschehnisse, schöne Bilder, tragische Konstellationen und die Musik eines spätbürgerlichen Tonsetzers?
So wird man nicht mehr fragen können, wenn man sich einmal, und ernsthafterweise, mit diesem Werk einließ. Hofmannsthal faßte in einem Brief an Strauss [Anfang April 1915] den Gehalt seiner Dichtung in einem Verspaar von Goethe zusammen: »Von dem Gesetz, das alle Wesen bindet, befreit der Mensch sich, der sich überwindet.« Diese Selbstüberwindung aber hat nichts zu tun mit ärmlichem Asketentum. Sie meint auch nicht Entsagung, sondern Ehrfurcht, um abermals einen Zentralbegriff Goethes zu verwenden. Ehrfurcht vor Dasein und Würde eines jeden anderen Menschen. Das meint Hofmannsthal. Das Parabelspiel von der FRAU OHNE SCHATTEN soll es verstehen machen: durch den Geist und durch die Sinne. Glück kann nicht erkauft werden, um es zu wiederholen, durch das Unglück von anderen. Welche Botschaft wäre drängender und gegenwärtiger als diese: in unserem Tageslauf der Erpressungen und Geiselnahmen? Nichts von den großen Gedanken der Aufklärung, ihrer Dichter und Denker ist eingelöst worden.
Das Motiv des Schattens schließlich meint die künftigen Generationen, die noch Ungeborenen, die noch unser aller Zukunft bedeuten sollen. Sie sind die Gewähr für das Überleben der Menschheit. Wer diesen Schatten von sich abtut, hat ein Urteil gesprochen über die Zukunft des Menschengeschlechts. Darum findet sich vermutlich am Schluß des ersten Aufzugs der FRAU OHNE SCHATTEN die tiefste Aussage. Nicht zufällig, daß Richard Strauss hier, seit der ELEKTRA, seine vielleicht großartigste Musik fand. Man spürt Ergriffenheit, die sich unmittelbar mitteilt. Es singen die Wächter der Stadt. Sie geben den Menschen, die sich zum Schlaf rüsten, eine Botschaft mit in die Nacht.
Sie lautet: Ihr Gatten, die ihr liebend euch in Armen liegt, ihr seid die Brücke, überm Abgrund ausgespannt, auf der die Toten wiederum ins Leben gehn! Geheiligt sei eurer Liebe Werk! Man kann das so verstehen: die Eintracht der Gatten, als Grundlage einer jeden zwischenmenschlichen Eintracht, die den Frieden bedeutet, ist eine Brücke über dem Abgrund, auf der die Toten wieder ins Leben gehen! Die von uns bewohnte Welt ist das Werk der Toten: im Guten und auch im Schlimmen. Wer Leben und Würde des anderen Menschen nicht gelten läßt, tötet die Toten zum anderen Mal. DIE FRAU OHNE SCHATTEN ist ein Märchenspiel, das vom Überleben der Menschheit handelt. [Hans Mayer]
Ulf Schirmer – Musikalische Leitung, Kirsten Harms – Inszenierung, Bernd Damovsky – Bühne, Kostüme, Andreas K. W. Meyer – Dramaturgie, Silvana Schröder – Choreographie, William Spaulding – Chöre, Dagmar Fiebach – Kinderchor, Christian Baier – Künstlerische Produktionsleitung, Chor der Deutschen Oper Berlin – Chor, Kinderchor der Deutschen Oper Berlin – Chor, Orchester der Deutschen Oper Berlin – Chor
Dauer: ca. 4 Stunden | 2 Pausen
Premiere
Sonntag 27.09.2009
17:00 Uhr
Die Frau ohne Schatten
Deutsche Oper Berlin
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