Die Orte scheinen bekannt, die Menschen vertraut, die Situationen alltäglich. Normalität ist abgebildet;
so normal, dass sie beunruhigt. Wo und wann sind die Fotografien entstanden? Wer sind die abgebildeten
Menschen? Auf welche Weise sind die Bilder inhaltlich verbunden? Mit der Suche nach erklärenden
Details lässt sich in den Fotografien von Anne Lass jedoch weder Bedeutung und Identität noch
Relation und Geschichte präzisieren oder dechiffrieren. Es sind Abbildungen entindividualisierter
Menschen an Orten ohne Historie – Dokumente der Orientierungslosigkeit und Austauschbarkeit.
Dieses gekonnte Spiel mit dem Fehlen von Referenzen und der Anonymität macht die Fotografien von
Anne Lass so faszinierend. Geographisch-spezifische Plätze spielen innerhalb der Fotoserie eine untergeordnete
Rolle, der tatsächliche Entstehungsort verliert an Bedeutung. Ebenso dessen Protagonisten,
die weder auf eine eindeutige Altersgruppe, noch auf ein bestimmtes Milieu oder Land verweisen.
Stattdessen werden beim Betrachter die Bilder seines eigenen visuellen Gedächnisses geweckt. Es findet
eine Überlagerung und Verschmelzung der Fotografien mit der eigenen Realität, Vorstellung und
eigenen Erlebnissen statt. Das konkrete Bild fungiert als Prothese, als Stütze für unsere Erinnerung.
Selbst die präszisen Ortszuschreibungen können den Prozess der freien Assoziation nicht aufhalten.
Hohe Kontraste, klare Bildstruktur, zurückhaltende und fast kühl neutralisierende Farbigkeit – Anne Lass’
Fotografien wirken weniger zufällig als sorgfältig geplant und durchkomponiert. Dennoch entstehen sie
aus einer „Bresson’schen“ Spontaneität heraus. Das Geschehen ist meist in der Bildmitte konzentriert.
Es entsteht der Eindruck, als seien die Menschen Akteure, und der räumliche Rahmen habe lediglich die
Funktion einer Kulisse. So thematisiert auch die zwischen Dokumentation und Inszenierung osszillierende
Bildsprache die Entfremdung des Menschen von der Natur durch Urbanisierung – ein grundlegender
inhaltlicher Aspekt der fotografischen Arbeit von Anne Lass.
Anne Lass, geboren 1978, studierte Kommunikationsdesign an der Universität Duisburg-Essen
(Folkwang Hochschule) – unter anderem Dokumentarfotografie bei Jörg Sasse. 2003 absolvierte sie ein
Auslandssemester an der Universität für Angewandte Kunst in Budapest. Zahlreiche Reisen führten sie in
die USA und nach Australien. Seit 2004 werden ihre Fotografien regelmäßig in Einzel- und Gruppen-ausstellungen
gezeigt, wie etwa in Köln, Düsseldorf, Mailand, Istanbul und den USA. Mit ihren Foto-grafien
hat sie Preise wie den Canon Profifoto Förderpreis (2008) oder den Epson Art Photo Award (2005 und
2006) gewonnen. Sie ist Co-Initiatorin des Kunstprojekts „Weißer Salon“. Anne Lass lebt in Berlin.
Katja Melzer, geboren 1982, studierte Kunstgeschichte, Kulturwissenschaften und BWL an der
Humboldt-Universität zu Berlin. Parallel dazu arbeitete sie fünf Jahre lang als Assistentin im
KunstBüroBerlin. 2006 verbrachte sie neun Monate mit einem ERASMUS-Stipendium an der ELTEUniversität
Budapest. Dort realisierte sie gemeinsam mit anderen Kunsthistorikern aus Berlin und
Budapest das Ausstellungsprojekt „24perc-24Minuten“. Nach dem Magisterabschluss zog sie nach
Budapest und ist dort seit Januar 2009 als DAAD-Stipendiatin am Ludwig Museum tätig. Mit dem
Berliner Fotografen Oliver Schmidt arbeitet sie zur Zeit an einem Fotobuch.
Seit 2006 präsentiert der C/O’s e.V. angehende Fotografen wie auch Kunstkritiker, die sich an der
Schwelle zwischen Ausbildung und Beruf befinden. Talents führt die Nachwuchsförderung von Bild und
Text in einem Programm zusammen. Damit ist Talents in Europa einzigartig und konkurrenzlos. In repräsentativen
Arbeitsserien zeigen die Künstler ihre Sicht auf den Menschen als physisches Individuum
ebenso wie als sozial-gesellschaftliches Wesen. Fotografien des Menschen und sein Porträt standen
immer im Fokus des Mediums, vor allem da hier gesellschaftlich relevante und künstlerisch ästhetische
Themenbereiche kulminieren.
Begleitet wird jede Einzelausstellung von einer Publikation, in der Bild und Text einen Dialog eingehen:
Die Talente präsentieren sich und ihre Projekte einem breiten Publikum, stellen ihre Arbeiten zur Diskussion
und schaffen sich so ein öffentliches Forum. Für die sechs- bis zehnwöchigen Ausstellungsetappen
steht ein 120qm großer Raum in den Räumlichkeiten von C/O Berlin im ehemaligen kaiserlichen
Postfuhramt in Berlin-Mitte zur Verfügung: Ein Experimentierraum für junge internationale Gegenwartsfotografie
und Kunstkritik.
Ausstellungsdauer 13. Juni bis zum 11. August 2009
Veranstalter C/O’s e.V.
Ort C/O Berlin . Oranienburger Straße / Tucholskystraße . 10117 Berlin
Öffnungszeiten täglich . 11 bis 20 Uhr
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